Seit der Mensch Straßen und Wege anlegte und sie zur möglichst beschwerdefreien und direkten Verbindung zwischen zwei Orten nutzt, stellte die Überwindung natürlicher Hindernisse eine besondere technische Herausforderung dar, vor allem, wenn im Gebirge. Die Technik desvon über Tunnelbaus versprach hier Abhilfe und ermöglichte nicht nur bedeutende Abkürzungen, sondern machte auch die Erschließung von Paßstraßen oder Serpentinen überflüssig, die den Reisenden manche Strapazen abverlangten.
Tunnel selbst gibt es seit der Antike, und je fortschrittlicher und raffinierter die Techniken der Baumeister und Ingenieure wurden, desto länger wurden sie. Ursprünglich gruben sich die Arbeiter auf gut Glück und ohne Kenntnisse über die Beschaffenheit des Untergrunds in den Fels; Erfahrungen aus dem Bergbau flossen ein, und bereits in der Antike wurden Tunnel im Gegenvortrieb konzipiert – d.h., die Arbeiterteams bewegten sich von den zwei gegenüberliegenden Ein- und Ausgangspunkten des Tunnels grabend aufeinander zu, möglichst ohne sich zu verfehlen oder zu große Abweichungen beim Aufeinandertreffen der Richtungsstücke zu riskieren; dies verlangte nicht nur enorme Arbeitsleistungen, sondern auch beträchtliches geologisches Wissen und mathematische Fähigkeiten. Einer der ersten bekanntesten Tunnel, die nach diesem Verfahren entstanden, war der noch heute erhaltene legendäre Tunnel des griechischen Wissenschaftlers und Philosophen Eupalinos auf Samos, mit einer beachtlichen Länge 1036 Metern, der ca. 550 v.Chr. entstand.
Nach der Blütezeit der Antike im Mittelalter zunächst wieder in Vergessenheit geraten (Tunnel spielten allenfalls im bodennahen Tagebergbau eine Rolle), wurde der Tunnelbau ab der frühen Neuzeit, als im Zuge der Entstehung der ersten Zentralstaaten dichtere Wegenetze benötigt wurden, bald zu einer regelrechten Wissenschaft, zu einer Paradedisziplin des Tiefbaus, die einen wichtigen Beitrag nicht nur zur wirtschaftlichen-zivilisatorsichen, sondern auch kulturellen Entwicklung Europas beitrug.
Mit den dichteren, schnelleren und immer umfangreicheren Verkehrsströmen wuchs in der Neuzeit auch der Bedarf an Tunnels exponentiell; spätestens mit dem Einzug der Industrialisierung und seit der Erfindung der Eisenbahn und dem Bau weltweiter Schienennetze waren Pioniere erst in Europa, dann auf allen Kontinenten bestrebt, kostengünstige, möglichst kurze Verbindungen zwischen Industriegebieten und Ballungsräumen zu schaffen, was zur Entstehung von Straßen- und Eisenbahntunnels in riesiger Zahl führte, die im Laufe der Zeit nicht nur stetig sicherer für die Reisenden, sondern auch immer länger wurden. Was einst mit mühsamer Muskelkraft den untertunnelten Bergen abgerungen wurde, wird heute von gewaltigen Tunnelbaumaschinen geleistet, rotierenden vollautomatischen Spezialgeräten, die zu den größten von Menschen überhaupt gebauten Maschinen zählen und die praktisch vollautomatisch im Vortrieb den Fels durchbohren, stützen, auskleiden und das abgetragene Material hinter sich nach außen befördern.
Längst nicht mehr nur im Gebirge, auch unter der Erde – insbesondere in Städten (U-Bahnen) -,und sogar unter dem Meer (z.B. Ärmelkanal) verlaufen wichtige Verkehrsadern durch Tunnels, die dabei immer längere Strecken überwinden und zunehmende Herausforderungen für ihre Konstrukteure darstellen. Doch kein Rekord ist für die Ewigkeit, ist ein extrem langer Tunnel für den Verkehr freigegeben, läßt die Eröffnung eines noch längeren meist nicht lange auf sich warten.
Nachfolgend sind die derzeit 10 längsten Tunnels der Erde aufgelistet, wobei eine mindestens ebenso große Zahl an aktuell im Bau befindlichen Megatunnels nur darauf wartet, für den Verkehr freigegeben und die Rekorde der bestehenden Riesenröhren zu übertreffen…
U-Bahntunnel Linie 7
Berlin
Länge: 31,8 km
Die Linie U7 durchläuft das derzeit zehntlängste durchgehende Tunnelbauwerk der Erde – bis 1987 war ihre Trassenröhre sogar der längste Tunnel der Erde. Ursprünglich nur eine Seitenlinie der alten Westberliner Traditionsstrecke “C” bzw. “C II” (heute: Linie U6) zwischen Mehringdamm und der Grenzallee, wurde sie 1966 als eigene Linie von dieser abgetrennt und erhielt eine Streckenführung, die im Laufe der Jahre immer weiter verlängert wurde und heute entlang der kompletten Verbindungslinie Spandau – Neukölln – Gropiusstadt – Rudow eine regelrechte Riesenröhre darstellt – mit stolzen 31,8 Kilometer Länge kann sie aufwarten. Das ehrgeizige stadtplanerische Verkehrsprojekt verdankt seine Realisierung dem U-Bahn-Bauboom im West-Berlin der 1970er Jahre. Durch den Tunnel wurde Spandau an das Berliner U-Bahn-Netz angegliedert; eine Vielzahl der Stationsbahnhöfe sind architektonisch reizvoll und künstlerisch gestaltet. Noch, wenn auch nicht mehr lange, kann der U-7-Tunnel seine Position in der Top-Ten der längsten Tunnels behaupten.
Lötschberg-Basistunnel
Schweiz
Länge: 34,5 km
Seit seiner Inbetriebnahme im Jahr 2007, nach nur acht Jahren Baubeginn, verbindet der Eisenbahntunnel über eine Länge von über 34,5 Kilometern (die westliche Richtungsröhre; die Oströhre bringt es auf “nur” 27,2 Kilometer) das Berner Oberland mit dem Kanton Wallis und verläuft als Basistunnel zwischen den Schweizer Städten Frutigen und Raron unter den Bergassiven Kandersteg (1197m) und Goppenstein (1216m). 112 Schnell- und Güterzüge durchfahren den Tunnel täglich in beiden Richtungen. Betrachtet man nur die längsten Eisenbahntunnels (U-Bahnen nicht eingerechnet!) der Erde, so liegt der Lötschbergtunnel sogar auf Platz 3 – unter den Tunnelbauwerken im Allgemeinen erreicht immerhin noch er Platz 9. Die in ihm verbaute, hochmodern ausgelegte Schienen-Infrastruktur ermöglicht derzeit maximale Fahrgeschwindigkeiten bis zu 230 km/h, bei Fernzügen in Neigetechnik sollen sogar 250 km/h erreicht werden. Damit wird die Reise durch diesen Tunnel im doppelten Sinn zu einer “kurzen Angelegenheit”!
U-Bahntunnel Linie Oedo
Tokio (Japan)
Länge: 40,7 km
Der erste Tunnel unserer Auflistung, der die 40-Kilometer-Längenmarke knackt, ist die Tokioter U-Bahn-Linie Oedo (deutsch: “Groß-Edo”). Sie durchläuft den achtlängsten Tunnel der Erde (zugleich zweitlängster Japans) und ging im Jahr 2000 in Betrieb. Auf ihrer genau 40,7 Kilometer durchgehenden Streckenlänge verteilen sich ganze 38 Haltebahnhöfe. Aufgrund der schieren Größe Tokios, einem der bevölkerungsreichsten Ballungsräume der Welt, verläuft sie trotz ihrer Länge ausschließlich unterhalb dichtbesiedelter Kernstadtbereiche und somit nur in einem relativ kleinen Ausschnitt des Tokioter Stadtgebiets. Ihre “Linie 12″ (nach dem Datum der Inbetriebnahme, 12.12.2000) getaufte U-Bahn ist eine der bekanntesten des ganzen Landes; kurios: 2009 lief in Japan sogar eine eigene Anime-Fernsehserie, die sich rund um die Oedo-Linie drehte und die einen regelrechten Kultstatus erlangte.
U-Bahntunnel Linie MetroSur
Madrid (Spanien)
Länge: 40,96 km
Wer nach Spanien reist, denkt eher an Sonne – aber auch im Untergrund hat das Land einige Besonderheiten zu bieten; etwa der MetroSur-Tunnel. Er beherbergt abermals eine U-Bahn-Linie – die Madrider Linie “Südmetro”, die als einzige Fahrbahnstrecke des Madrider U-Bahn-Netzes gänzlich außerhalb des Stadtgebietes verläuft. Mit seinen 40,96 Kilometers landet der Streckentunnel auf Platz 7 der längsten Tunnels der Erde. Der Tunnel und seine U-Bahn-Linie 12 existieren, nach nur drei Jahren Bauzeit, seit 2003; U12 ist damit eine der neuesten, zuletzt eröffneten Linien in Madrid, die fünf rasch wachsende Großstädte der Madrider Metropolregion miteinander verbindet. Ihre 28 Einzelbahnhöfe sind einheitlich konzipiert, es verkehren modernste Bombardier-Wagensysteme auf der Strecke. Der MetroSur-Tunnel ist zugleich der längste Tunnel Spaniens und drittlängste in Europa.
U-Bahntunnel Linie Serpuchowsko-Timirjasewskaja
Moskau (Russland)
Länge: 41,2 km
Hinter dem zungenbrecherischen Namen verbirgt sich nicht nur die längste unterirdische Streckentrasse der Moskauer Metro (innerhalb nur eines einzigen Tunnelbauwerks!), sondern auch der mit 41,2 Kilometer längste U-Bahn-Tunnel Europas. Die im Volksmund “Graue Linie” genannte U-Bahn-Linie 9 führt fast geradlinig von Nord nach Süd durchs Zentrum der russischen Riesenmetropole und entstand in der Endzeit der Sowjetunion bzw. in den Gründungsjahren der Russischen Föderation, um andere bestehende U-Bahn-Verbindungen zu entlasten. Das erste Teilstück wurde 1983, das letzte 2001 in Betrieb genommen. Zwischen den rund 25 Haltebahnhöfen im Serpuchowsko-Timirjasewskaja werden Woche für Woche die gewaltige Zahl von mehr als 1,1 Millionen Fahrgäste befördert – damit zählt der sechstlängste Tunnel unserer Rekordliste auch zu den am meistfrequentierten und “bestbesuchten” unterirdischen Bauwerken der Welt.
U-Bahntunnel Linie 5
Seoul (Südkorea)
Länge: 47,7 km
Und wieder ein U-Bahn-Tunnel, diesmal in der südkoreanischen Hauptstadt! Auf Platz 5 landet der mit 47,7 Kilometer durchgängige Gesamtlänge der Streckentunnel der Linie 5, was numerisch durchaus passend ist. Zwischen 1990 und 1996 erbaut, führt durch ihn eine bedeutende Ost-West-Teilverbindung des Seouler Metronetzes mit seinen neun Linien, die hier u.a. den Flughafen Gimpo erschließt. Die technische Ausstattung hinsichtlich Klimatisierung und Sicherheitsstandards der den Tunnel durchlaufenden Linie 5 ist, wie in Südkorea allgemein üblich, sehr hoch. So befinden sich die Einfahrtrassen der U-Bahn-Züge innerhalb der 51 Streckenbahnhöfe des Tunnels hinter Glaswänden, die sich auf Höhe der Einstiegstüren exakt während der Haltezeiten öffnen und wieder schließen und so die Staub- und Lärmbelastung auf ein Minimum reduzieren. Quasi ein echter High-Tech-Tunnel!
Ärmelkanal – Eurotunnel
Frankreich/Großbritannien
Länge: 50,45 km
Einer der weltweit bekanntesten Tunnels schafft es immerhin auf Platz 4 unseres Ranking: Der Eurotunnel, der Folkstone/Kent in England und Coquelles bei Calais in Frankreich verbindet und dabei den Ärmelkanal unterquert, hat vielfach Eingang in die Populärkultur gefunden; man erinnere sich nur an die spektakulären Actionszenen in “Mission Impossible”, als der mit Tom Cruise dahinrasende TGV-Hochgeschwindigkeitszug in die Tunnelröhre hinein von einem Helikopter verfolgt wird! Mit einer Länge von 50,45 Kilometern machte dieses einzigartige Projekt einen uralten mitteleuropäischen Traum wahr – den einer “trockenen” Verbindung zwischen dem Kontinent und Großbritannien, etwas, das seit der letzten Eiszeit vor 13.000 Jahren nicht mehr möglich war! 38 Kilometer der Gesamtstrecke in zwei jeweils eingleisigen Röhren verlaufen unterseeisch (der längste submarine Tunnelverlauf weltweit!), im Schnitt 40 Meter unter dem Meeresgrund, womit das Bauwerk auch ein technisches Meisterstück darstellt. Manch ein britischer Inselbewohner mag Krokodilstränen vergossen haben, dass nach Jahrtausenden der privilegierte und auch schützend-isolierende Inselstatus mit einem Mal Geschichte war… doch seit der Fertigstellung 1993, nach fünfeinhalb Jahren Bauzeit, hat sich der Eurotunnel als eine wichtige Alternative zum Luftverkehr etabliert und ist sowohl aus dem Personen- wie auch Güterverkehr nicht mehr wegzudenken. Das 15 Milliarden Euro teure Gemeinschaftsprojekt zwischen England und Frankreich, schon während der jahrzehntelangen Planung ein politischer Zankapfel, hat seine Kritiker mittlerweile zum Verstummen gebracht und ist ein bedeutendes Symbol für das Zusammenwachsen des “alten Europa”. Und spätestens Ende 2016 sollen auch deutsche ICE den Tunnel regelmäßig durchfahren und direkte Zugverbindungen zwischen Deutschland und England ohne Umsteigen möglich werden, womit das Nutzungsmonopol der britisch-französischen Zugbetriebe beendet ist und der Tunnel insgesamt noch “europäischer” wird!
Hokkaido-Honshu-Seikan-Tunnel
Japan
Lönge: 53,85 km
Unsere Top-3 wird eingeleitet vom Seikan-Tunnel in Japan, dem bis 2010 noch längsten Eisenbahntunnel der Erde. Mit 53,85 Kilometern Länge unterquert er die Tsugaru-Straße, welche die japanischen Inseln Honshu und Hokkaido im Norden des Inselstaates trennt. An der dichtesten Stelle der Meerenge verläuft der Tunnel in drei Röhren auf etwas über einem Drittel seiner Gesamtlänge, über 23,5 Kilometer, unterseeisch; teilweise stolze 100 Meter unter dem Meeresboden bzw. 240 Meter unter der Wasseroberfläche. Der bereits in den 1930er Jahren geplante Tunnel wurde erst 1985 eröffnet, nach 14 Jahren Bauzeit und etlichen die Bauphase überschattenden tödlichen Unfällen. Durch ihn waren jedoch erstmals alle vier japanischen Hauptinseln direkt via Schienennetz miteinander verbunden. Derzeit wird der Tunnel auf die japanischen Hochgeschwindigkeitszüge Shinkansen technisch umgerüstet.
U-Bahntunnel Linie 10
Peking (China)
Länge: 57,1 km
China wartet auch unterirdisch mit Superlativen auf – im Untergrund seiner Hauptstadt verläuft der mit ungeheuerlichen 57,1 Kilometern Gesamtlänge zweitlängste Tunnel der Erde. Die Linie 10 der Pekinger U-Bahn-Betriebe folgt dem Verlauf eines der größten Autobahnringe der Stadt. Die jetzige Streckenführung wurde nach den Olympischen Sommerspielen 2008 fertiggestellt, ihr letztes Teilstück wurde erst 2013 für den Verkehr freigegeben. 45 Stationen und Bahnhofe säumen den Tunnel. Wem der Pekinger Smog zu viel wird, der hat hier viel Auslauf, um sich die Beine zu vertreten oder stundenlang Zug zu fahren, ohne das Tageslicht zu Gesicht zu bekommen. Übrigens wird der derzeit noch im Bau befindliche Gotthard-Basistunnel (ebenfalls ein Eisenbahnprojekt, das 2016 eröffnet werden soll) mit 57,09 Kilometern bis auf wenige Dutzend Meter fast genauso lang wie der Linie-10-Tunnel in Peking sein; doch ebensowenig wie der derzeit im Bau befindliche Brenner-Basistunnel, der 55 Kilometer durchmessen wird und 2025 fertig sein soll, wird er ihm nicht den Rang des zweitlängsten Tunnels der Welt ablaufen können…
U-Bahn Linie 3
Guangzhou(China)
Länge: 60,4 km
Als einziges Tunnelbauwerk der Erde übertrifft ebenfalls eine U-Bahn-Röhre die 60-Kilometer-Grenze: In der südchinesischen Boomtown Guangzhou, einem Moloch mit fast 12 Millionen Einwohnern, topt die dortige hochmoderne Metro, die erst seit 15 Jahren besteht, alle Rekorde. Nicht nur zählt sie mit jährlich rund 1,2 Milliarden Passagieren zu den am stärksten genutzten U-Bahn-Netzen der Welt; ihre Linie 3 führt im längsten durchgehenden Tunnel der Erde mit sagenhaften 60,4 Kilometern Länge unter der weitläufigen Metropole; die Röhre ist zugleich der längste U-Bahn- und Eisenbahntunnel der Erde. Er entspricht fast der anderthalbfachen Länge des Euro-Kanaltunnels und würde ausreichen, um München mit Augsburg zu verbinden. In China, das in einer atemlosen Wachstumsperiode seit rund 20 Jahren so viele Rekorde eingestellt und überholt hat, verwundert dieses technische Meisterwerk allerdings nicht; nicht weniger als acht weitere rekordreife Tunnelbauwerke sind in den Megalopolen des Landes, überwiegend für den Hochgeschwindigkeitszug- und U-Bahn-Verkehr, derzeit im Bau und werden die hier vorgestellte Rangliste in einigen Jahren kräftig durchmischen und verändern.