Kaum ein Naturphänomen zieht Menschen so sehr in seinen Bann wie Wasserfälle. Sie symbolisieren Ur- und Naturgewalt, an ihnen brechen sich buchstäblich die klassischen Elemente Luft, Erde und Wasser, und je höher sie sind, umso faszinierender ist die unbändige Kraft, die dem herabstürzenden Wasser innewohnt. Die zerstörerische Kraft der Elemente ist gleichwohl auch ein Werkzeug der Umgestaltung – die Erosion der Flußläufe hat ganze Landschaften geformt, und nirgends zeigt sich deren Wirkung eindrucksvoller als an exponierten Klippen und Felsstürzen, wo das Wasser machtvoll beweist, daß es sich durch nichts aufhalten läßt – schon gar nicht von der Schwerkraft.
In Mitteleuropa hat die Zivilisation die einstigen Wasserläufe über Jahrhunderte der Zivilisation gezähmt, begradigt, umgeleitet oder abgeschwächt; natürliche Wasserfälle sind eher die Ausnahme. Aber in anderen Erdteilen vollzieht sich dieses spektakuläre Naturschauspiel wie eh und je, und zudem stürzt das Naß in viel größeren, schwindelerregenden Höhen in die Tiefe.
Anmerkung: Die nachfolgende Auflistung der Top Ten berücksichtigt Fälle auch mit Zwischenstufen und somit die überwundene Höhendistanz zwischen der oberen Fallklippe (ab wo das Wasser stürzt) bis zum Fußpunkt des Systems, ab wo das fallende Wasser auf das aufnehmende stehende oder fließende Gewässer trifft. Das Ranking umfaßt beinahe alle Kontinente, und nicht selten finden sich die ungebändigtsten und wildesten Wasserfälle in den vom Menschen unberührtesten, zivilisationsentlegensten und unzugänglichsten Gebieten, die oftmals als Nationalparks ausgewiesen sind. Nachfolgend der ultimative Wasserfall-Chart!
Seerenbachfälle (Schweiz)
585 Meter
Das gebirgigste, fast ausschließlich auf dem Gebiet der Alpen und somit des höchsten europäischen Gebirges liegende Land beheimatet auch einige der höchsten Wasserfälle der Erde, doch schaffen es die Seerenbachfälle im Kanton St. Gallen, unweit der Gemeinde Amden, gerade noch in die Top 10 der höchsten Katarakte. Mehr als ein halber Kilometer, 585 Meter, fällt der Seerenbach hier in die Tiefe, allerdings in drei Einzelstufen; deren höchste überwindet immerhin noch eine freie Fallstrecke von 305 Metern. Damit bilden die Seerenbachfälle auch den höchsten mitteleuropäischen Wasserfall und den höchsten der Alpen.
Salto Kukenam (Venezuela)
610 Meter
Nur 25 Meter höher ist unsere Nummer 9 der weltweit höchsten Wasserfälle im Nationalpark Canaimo, der Kukenan-Katarakt im Südosten Venezuelas. Stolze 610 Meter fällt er vom Kokaimo-Tepui herab, einem über 2500 Meter hohen, für diese Region typischen bizarren Tafelberge mit ihren urwaldbewachsenen Hochplateaus, und entwässert eine immerfeuchte Regenwaldlandschaft, deren Fauna und Flora einige der seltensten Spezies des Planeten beheimatet. Vor atemberaubender Kulisse stürzt das Wasser vor dem fast senkrechten seitlichen Steilhang des Tepui in die Tiefe. Der Zwillings-Tepui neben dem Massiv mit diesem Wasserfall wurde von Sir Arthur Conan Doyle in dessen weltberühmten Roman „Die vergessene Welt“ verewigt; somit befindet sich dieser Wasserfall auch literarisch an „prominenter“ Stelle.
Langfossen (Norwegen)
612 Meter
Der zweithöchste europäische Wasserfall schafft es auf Platz 8 der weltweiten Top Ten und ist im norwegischen Zentralmassiv unweit Hordaland lokalisiert, oberhalb eines der tief ins Landesinnere schneidenden Fjords, des Akrafjords, nahe der Gemeinde Etne. Je nach Menge des fallendenden Wassers kommt es zu einem dichten Gischtschleier, der wie ein Nebel erscheint und kilometerweit zu sehen ist, und die Sichtverhältnisse auf den umliegenden Wegen und Straßen stark behindern kann. 612 Meter tief fällt das Wasser hier. Für Wanderer ist das Terrain äußerst reizvoll, neben dem Langfossen-Fall zählt auch der Gletscher Folgefonna zu den touristischen Sehenswürdigkeiten Skandinaviens.
Cascade Blanche (La Reunion)
640 Meter
Auf der idyllischen Insel La Reunion, dem bekannten französischen Überseedepartement im Indischen Ozean und populären touristischen Urlaubsziel, befindet sich der mit 640 Metern Höhe Cascade Blanche, der weniger durch die eher geringe Wassermenge als durch seine grazile, annähernd senkrechte Falllinie und seine Einbettung inmitten der malerischen tropischen Landschaft für den Betrachter reizvoll ist. Über mehrere Zwischenstufen, daher auch der Namensbestandteil „Cascade“, fällt das Wasser vor einer dicht bewachsenen Steilwand nahe der Kleinstadt Salazie hinab, wobei es die höchste Einzelstufe im freien Fall auf immerhin 400 Meter bringt. Die bizarre Umgebung des Wasserfalls machen ihn zu einem der spekatulärsten und schönsten Naturwunder der Erde.
Mardalsfossen (Norwegen)
655 Meter
Es geht wieder nach Nordeuropa und hier erneut nach Norwegen: mit stolzen 655 Metern stürzt sich das eiskalte Wasser des Gebirgssees Mardalstjønna über zwei Zwischenstufen in die Tiefe; die höchste Einzelfreifallstufe mißt dabei eine Höhe von knapp 300 Metern; damit ist der Mardalsfossen der höchste Wasserfall Europas und bringt es im weltweiten Vergleich auf Platz 6 unseres Rankings. Allerdings war das Naturphänomen wiederholt Gegenstand ökologischer Kontroversen. Seit 1970 wird ein Großteil des Wassers zur Stromerzeugung verwendet, wodurch sich die ursprüngliche Wassermenge des Katarakts auf einen Bruchteil der ursprünglichen Menge reduzierte. Als Touristenattraktion läßt man ihn jedoch, ähnlich wie die Niagarafälle, künstlich mit einer Menge von immerhin 45 Kubikmetern je Sekunde hinabtose.
Yosemite Falls (USA)
Der legendäre Wasserfall im gleichnamigen Nationalpark stellt mit seinen 739 Metern freier Fallhöhe eines der beeindruckendsten Naturschauspiele Nordamerikas – und der auch ansonsten nicht eben an landschaftlichen Attraktionen armen USA – dar. Nicht weniger als spektakuläre 740 Meter fällt der Yosemite Creek, inmitten der kalifornischen Sierra Nevada, von einer mehr als 1830 Meter hoch gelegenen Abbruchkante über drei Zwischenkanten (Upper, Middle und Lower Falls) fast senkrecht herab, ehe er auf der in 1090 Höhenmetern lokalisierten Prallkante in einer wahren Gischtwolke zerstäubt und von da an seinen Weg in Gestalt des Merdec Rivers weiter talwärts fließt. Allerdings ist das faszinierende Spektakel nur in Schnee-bzw. regenreichen Jahren zu bewundern. Dieser Wasserfall zählt jedenfalls zu den definitiven Sehenswürdigkeiten jeder Amerikareise.
Catarata Gocta (Peru)
771 Meter
Wir bleiben in der Neuen Welt und blicken nach Südamerika: Im peruanischen Bongará befinden sich die weltberühmten Gocta-Fälle. Mit einer Höhe von mehr als einem Dreiviertel Kilometer, exakt 771 Metern, die über zwei Stufen der Schwerkraft folgen, liegt dieser Katarakt inmitten der an Wasserfällen nicht gerade raren peruanischen Region Amazonas, auf zwischen 2000 und 3000 Höhenmetern. Allerdings führt der den Fall speisende Zufluß des Cocahuayco nicht ganzjährig gleichviel Wasser, so daß der Eindruck eines über die volle Höhe hinabstürzenden Wasserfalls nur in niederschlagreichen Monaten gegeben ist. Der Catarata Gocta ist für seine zahlreichen Mythen und Legenden bei der indianischen Urbevölkerung berühmt; es existiert beispielsweise eine – der deutschen Loreley-Sage vergleichbare – Mär von einer schönen Sirene, die angeblich in der Seelagune am Fuße des Wasserfalls lebt und nicht nur Mutter der Fische im Fluß ist, sondern auch einen beträchtlichen Goldschatz hüten soll…
Yumbilla (Peru)
870 Meter
Mit stolzen 870 Metern Fallhöhe über zwei Stufen ist dieser visuell sehr reizvolle, in pittoresker Umgebung gelegene Wasserfall der dritthöchste der Erde. Allerdings führt er, anders als nur wenige Fälle dieser Höhe, nur in der Regenzeit Wasser und fällt somit in mehr als der Hälfte des Jahres trocken. Er war lange fast unentdeckt, da er sehr entlegen inmitten eines extrem zerklüfteten, gebirgigen dichten Regenwaldgebiets liegt. Erst seit 2007 wurde dabei von Geodäten die tatsächliche Höhe des Fall verbindlich ermittelt und Zweifel ausgeräumt, daß der Yumbilla somit um fast 100 Metern höher als der nicht allzu weit entfernte Catarata Gocta ist. Wie letztgenannter liegt auch dieser Katarakt in der peruanischen Region Amazonas, ist allerdings bisher (noch) nicht verkehrswegemäßig erschlossen und somit für Touristen -außer Kletterern und Treckern – praktisch nicht erreichbar. Die Provinzregierung baut jedoch aktuell an Zugangswegen.
Tugela Falls (Südafrika)
948 Meter
Der zweithöchste Wasserfall des Planeten ist gleichzeitig der einzige unserer Top Ten, der auf dem afrikanischen Kontinent liegt: Im östlichen Kernland der ehemaligen Kapprovinz, genauer in der autonomen Region, KwaZulu-Natal, ergießt sich der Fluss Tugela über ein fünfstufiges Klippensystem über eine unglaubliche Höhe von 948 Metern. Da der Tugela nur wenige Kilometer weit entfernt entspringt, führt er auf Höhe ersten Fallstufe noch vergleichsweise wenig Wasser und ist daher, vergleichen mit seinen „Rivalen“, ein recht „dünner“ Fall, der ein Großteil der Wassermenge auf dem Fallweg nach unten durch Verdunstung und die versprühte Gischt verliert. Umso beeindruckender ist dabei das entstehende Naturschauspiel. Von den Zulus und anderen ortsnahen Ureinwohnern seit Jahrtausenden kultisch verehrt, kommt dieser „national landmark“ Südafrikas eine besondere Bedeutung unter den Sehenswürdigkeiten bei jeder größeren Offroad-Safari zu. Der Tugela wird nur noch von dem – allerdings nur geringfügig höheren – Salto Angel in Venezuela übertroffen, womit wir schon an der Spitze unseres Rankings angelangt wären…
Salto Angel (Venezuela)
979 Meter
Die Ein-Kilometer-Marke erreicht dieser welthöchste Fall, der unangefochten den ersten Platz unserer Liste verteidigt, leider nicht ganz, aber mit sagenhaften 979 Metern Fallhöhe – und dabei einer einzigen Einzelfallstufe von unvorstellbaren 805 Metern – bricht der Salto Angel gleich mehrere Rekorde. „Kerepakupai merú“ nennen die ortsansässigen Pemon-Indios diesen riesigen Fall, der vom gewaltigen Tafelberg Auyan, einem der größten Tepuis der Welt, in die Tiefe stürzt; das Wasser strömt dabei rund 40 Meter unterhalb der Abbruchkante des Tepui durch unzählige Felsspalten und Höhlen und zerstäubt anschließend in Milliarden kleine Tröpfchen, die einen riesigen Schleier bilden; sammelt sich sodann wieder zunächst nur rund 200 Meter tiefer in einer Senke auf einem Vorsprung, ehe dann der eigentliche Wasserfall fast 800 Meter hinabfällt und sich abermals in einer Gischtwolke auflöst. Der westlichen Zivilisation wurde die Existenz dieses Rekordwasserfalls erst in den 1930er Jahren bekannt, als ein amerikanischer Buschpilot namens Jimmy Angel von Panama aus aufbrach, um im Auftrag einer Bergbaufirma in der völlig unerforschten und abgeschiedenen Gegend des heutigen Tepui-Nationalparks nach Goldvorkommen und zu suchen und dabei nach Möglichkeit auch den legendären und sagenumwobenen Riesenfall zu finden. Nach ihm erhielt der Fall denn auch seinen Namen – Salto Angel, was also nicht etwa „Engelsturz“ bedeutet (obwohl auch das sinnfällig wäre!), sondern sich schlicht nach dem Entdecker richtete. Tatsächlich fand Angel in einem Fluss auf dem 700 Quadratkilometer ein bescheidenes Goldvorkommen, doch der eigentlich der Nachwelt in Erinnerung gebliebene „Schatz“ war gewiß dieser welthöchste Wasserfall, die Top #1 unserer Liste!