Verkehrschaos, Bandenkriege, Drogen, Diebstahl, Brutalität, Betrug, Beziehungstaten, organisierte Kriminalität – all diese Dinge tragen sicherlich ihren Teil dazu bei, eine Stadt unsicher zu machen. Wie aber soll man sich bei so vielen Fakten ein halbwegs objektives Bild machen? Am besten indem man sich auf ein zentrales Detail konzentriert. Und welches Verbrechen könnte zentraler sein als Mord?! Entscheidend für dieses Ranking ist deshalb hauptsächlich die Mordrate, das heißt die Anzahl an jährlichen Morden, die auf 100.000 Einwohner entfallen. Die Größe der Stadt allein soll nämlich kein Kriterium sein, es zählt tatsächlich das prozentuale Maß an Kapitalverbrechen. Damit steigen wir ein in den undurchdringlichen Sumpf der gefährlichsten Städte der Welt …
Um sich zu Beginn einen ersten Vergleich zu verschaffen, sei gesagt, dass schon das Schlusslicht in dieser Liste eine mehr als zehnmal so hohe Mordrate aufweist als Deutschlands gefährlichste Stadt Frankfurt. Während die Metropole am Main mit einer Mordrate von „geringen“ 7 Menschen auf 100.000 Einwohner aufwartet, fallen im brasilianischen Belem jährlich etwa 78 von 100.000 Menschen einem Mord zum Opfer. Das klingt erst einmal auch nicht nach übermäßig viel; führt man sich jedoch die Bevölkerungsdichte von 1,4 Millionen Bürgern vor Augen, gewinnt die Zahl schnell etwas Erschreckendes: Das sind nämlich über 1600 Mordopfer pro Jahr. Verstümmelungen, Vergewaltigungen oder anderweitige Gewalttaten außen vor gelassen. Schuld an diesen Zahlen dürfte besonders die explosive Mischung aus Massenarmut und Drogen sein, die sich immer wieder gegenseitig befruchtet und in Straßenkämpfe und Bandenkriege mündet. Das daraus entstehende Zusammenspiel aus Beschaffungskriminalität, Vergeltungsakten und sinkender Hemmschwelle lässt die Stadt im Nordosten Brasiliens nicht nur nachts zu einem lebensgefährlichen Pflaster werden.
Mit einer Mordrate von knapp 80 reiht sich Durango als zweite Stadt in Südamerika, die es auf die Liste „geschafft“ hat, mit kleinem Vorsprung auf dem vorletzten Platz ein. Es werden allerdings – so viel sei an dieser Stelle schon verraten – noch vier weitere Platzierungen für Mexiko folgen. Durango verfügt über etwas weniger als 600.000 Einwohner und hat sich vor allem durch seine Drogenkriege und Massengräber, die immer wieder gefunden werden, einen traurigen Ruf verdient. Auch abgetrennte Köpfe und Gliedmaßen sowie verstümmelte Körper, die mehr oder minder durch Zufall aufgefunden werden, sind für die Polizei dort leider tägliche Routine. Begünstigend wirkt sich dabei sicherlich das eher öde Gesicht dieser Gegend Mexikos aus, das hauptsächlich aus wüstem Bergland und weitläufig unbewohnten Arealen besteht. Auf diese Weise bleiben selbst Massenmorde und Hinrichtungen meist unbemerkt. Dazu kommen verbreitete Probleme wie Korruption oder polizeiliche Willkür, die es schwer machen, effektiv gegen organisierte Verbrecherbanden vorzugehen.
In der nördlich gelegenen mexikanischen Stadt Chihuahua sterben 83 von 100.000 Einwohnern pro Jahr durch Mord. Während wir Europäer den Namen eher mit einer niedlichen Hunderasse oder vielleicht einem etwas älteren Song von DJ Bobo in verbindung bringen, verbinden ihn die Bürger Chihuahuas eher mit Angst und Hoffnungslosigkeit. Denn es herrschen Gewalt und Terror der schlimmsten Art auf den Straßen. Und passenderweise hat ein Menschenleben dort vermutlich nicht viel mehr Wert (wenn nicht am Ende einen geringeren) als das eines Hundes. Dreh- und Angelpunkt der untragbaren Zustände ist im Grunde genau das gleiche Problem wie in Durango: Der seit Jahren tobende Drogenkrieg, seine mittelbaren und unmittelbaren Folgen und die Unfähigkeit des regionalen Machtapparats die Straßenbanden zu bekämpfen. So werden umgerechnet auf gut 830.000 Bürger 690 Männer, Frauen und Kinder Jahr für Jahr ermordet – oder anders gesagt zwei an jedem einzelnen Tag. Tendenz steigend.
Auch Platzierung Nummer 7 führt uns in den Norden Mexikos und damit ins Grenzland zu den USA. Offenbar ein nie versiegender Brennpunkt des Landes. Die Situation scheint sich jährlich zuzuspitzen – und allmählich gewinnt man den Eindruck, als würde das Land dringend wieder einen neuen Zorro brauchen. Denn in der 1,2 Millionen Metropole Torreon beträgt die Todesrate knapp 88, was unter dem Strich 990 Todesopfer pro Jahr ausmacht. Neue Zahlen, neue Raten. Zirka 1000 Kilometer vor den Toren der Hauptstadt Mexiko City gelegen, haben es die Einwohner jedoch mit einem altbekannten Problem zu tun: Drogenkriminalität und seine typischen Symptome. Wie auch in Durango und Chihuahua gehen die meisten Morde auf das Konto rivalisierender Banden, die um die Vorherrschaft auf dem Drogenmarkt kämpfen. Um die eigene Position auf der Straße zu stärken und sich die einzig wirklich lukrative Einnahmequelle zu sichern, schrecken die Gangs auch vor brutalsten Methoden nicht zurück.
Wir bleiben auf dem südamerikanischen Kontinent, rücken jedoch weiter in den Südosten. In der venezolanischen Hauptstadt Caracas sterben pro Jahr fast 99 Menschen auf 100.000 Einwohner durch Mord. Das ist erneut eine deutliche Steigerung. Speziell, wenn man bedenkt, dass Caracas mit 3,2 Millionen Menschen gleichzeitig eine extrem bevölkerungsreiche Stadt beziehungsweise die bevölkerungsreichste in dieser Liste ist. Am falschen Ort, zur falschen Zeit zu sein, kann einen hier schnell Leib und Leben Kosten. Ganz besonders betrifft das die Armutsviertel, die sich im Westen und Osten der Stadt an den Fuß des Avila-Gebirges drängen. In diesen Vierteln regiert das Recht des Stärkeren und das halten in der Regel Gangs in Händen. Obwohl die Straßenkriminalität in Caracas selbst ebenfalls ungebrochen ansteigt. Vielleicht liegt es gerade an dieser brisanten Mischung aus Großstadt und annähernd gesetzlosem Grenzland, an pulsierendem Tourismus und tiefer Armut, an dichter Besiedelung und geballter Machtverteilung. Aus beidem bedient sich das organisierte Verbrechen und führt sein eigenes Regime.
Der Distrito Central setzt sich aus den Zwillingsstädten Tegucigalpa und Comayaguela zusammen und hat eine ähnliche Mordrate wie Caracas in Venezuela, nämlich etwas über 99 auf 100.000 Einwohner. Etwas anders als dort werden Touristen aber nicht nur davor gewarnt allein und unbedacht ins Umland zu fahren oder sich nachts unnötig auf den Straßen herumzutreiben. Das Auswärtige Amt warnt ganz allgemein vor Reisen nach Tegucigalpa und Comayaguela. Die 1,1 Millionen Einwohner Stadt in Honduras gehört längst den Straßengangs und Drogenbanden. Mord gehört im Distrito Central zum Alltag; ebenso Entführungen, Schießereien, Vergewaltigung, Raub, bewaffneter Überfall und Einbruch. Es herrscht vielleicht noch schlimmer als in den Armutsvierteln von Caracas oder dem mexikanischen Chihuahua das Gesetz der Straße – und das zeichnet sich durch seine besondere Brutalität und Schonungslosigkeit aus.
Nach kurzen Abstechern in Richtung Venezuela und Honduras kehren wir mit Platz 4 wieder in das vertraute Mexiko zurück; und zwar in eine Stadt, die den meisten durchaus bekannt sein dürfte. Zumindest den etwas reiferen Semestern unter uns. Acapulco. Schon einmal gehört? Vermutlich. Allerdings kennt man Acapulco wohl nicht unbedingt als Verbrechens-Mekka, sondern eher wegen seiner Felsenspringer. Sprich als Touristen-Hochburg und Inbegriff des Sommerurlaubs. Von den 60ern bis weit in die 80er zog der schöne Ort an der Pazifikküste sogar regelmäßig die Prominenz Amerikas an. Doch in den vergangenen drei Jahrzehnten ging es dann nur noch steil bergab. Die Schauspieler und Sänger blieben aus. Dafür wurden die Straßen immer schmutziger, die Menschen immer ärmer und das Leben gefährlicher. Satt luxusverwöhnter Touristen dominieren heute Gewalt und Drogen das Bild des einstigen Urlaubs-Hotspots. Kein Wunder, eine Mordrate von 128 lädt wahrlich nicht zum Schwimmen und Sonnenbaden ein.
Wenn es statistisch auch „bloß“ für die Bronzemedaille reicht, so ist Maceio garantiert einer der zwiegespaltensten Orte in dieser Liste. Todeszentrum und Urlaubsziel. Gefürchtet und beliebt. Verkommen und ein Naturparadies. Auf der einen Seite werden im Jahr zwischen 1500 und 1600 Menschen ermordet, was bei einer Einwohnerzahl von 1,1 Millionen einer Mordrate von etwa 135 entspricht. Und die Rate steigt regelmäßig und deutlich an; seit 2000 hat sie sich immerhin mehr als verfünffacht. Das spricht nicht gerade für ein sicheres Pflaster. Im Gegenteil, man verliert in Maceio schneller sein Leben als seine Handtasche. Nichtsdestotrotz erfreut sich die Stadt eines nicht enden wollenden beziehungsweise stetig anwachsenden Touristenstroms. Aufgrund seiner wunderschönen Strände und des grünen Hinterlandes, das vor allem mit Mango- und Kokosnussgärten zu begeistern weiß, lockt Brasiliens gefährlichste Perle Saison für Saison Reisewillige aus aller Welt an seine Küste.
Mit einer verhältnismäßig überschaubaren Einwohnerzahl von grob 700.000 bringt es San Pedro Sula dennoch auf eine prozentual einschlagende Zahl von 1113 ermordeten Mensch pro Jahr. Die Mordrate liegt somit bei 159 – ein Abstand zu Platz 3, der zweimal der Mordrate Frankfurts entspricht. Lange Zeit galt dieser gewaltreiche Flecken Honduras als die gefährlichste Stadt der Welt. Erst in den letzten zwei Jahren wurde sie abgelöst. Trotzdem ist sie gefährlich genug, dass die Regierung Hoduras´ und das Auswärtige Amt dringend von Bus- und Taxifahrten oder gar Spaziergängen bei Nacht abraten. Touristen sind nämlich beliebte Opfer von Gewalttaten. Aber auch die eigene Bevölkerung lebt mit dem ständigen Risiko auf dem Weg zur Arbeit oder nach Hause überfallen, vergewaltigt oder getötet zu werden. Die Ursache findet sich wie schon so oft zuvor in dem Aufeinandertreffen von Massenarmut und den Kriegen zwischen rivalisierenden Straßenbanden, die nicht selten in Schießereien und Vergeltungstaten enden.
Mit Ciudad Juarez kommen wir nun nicht nur zum Spitzenreiter in Mexiko, sondern zum negativen Höhepunkt weltweit. In der 1,3 Millionen Stadt, die an der Grenze zu den USA liegt, fallen jährlich über 3000 Menschen – 2012 waren es genau 3117 – einem Mord zum Opfer, das entspricht einer Rate von über 200! Das ist nicht nur unglaublich und furchtbar, sondern zugleich ein gewaltiger Anstieg. Zum Vergleich: Im Jahr 2008 waren es „nur“ 1653 Morde und damit eine Rate von 130. Das heißt in vier Jahren haben sich die Zahlen mehr als verdoppelt.Auch die Taten selbst sprechen eine grausame Sprache. Verstümmelte Leiche, hingerichtete Jugendliche, kaltblütigste Vergewaltigungen, abgetrennte Köpfe und Gliedmaßen. Dazu eine Polizei und Politik, die überwiegend die Augen verschließt. Die Zustände in Ciudad Juarez haben längst solche Dimensionen angenommen, dass sich selbst die Filmindustrie dafür interessiert. Bereits 2006 thematisierte der Film „Bordertown“ des Regisseurs Gregory Nava die Übergriffe auf Frauen in der Nähe der sogenannten Maquiladoras (Fließband-Fabriken zur Massenanfertigung von Bauteilen für den US-Markt). Der Streifen mit Jennifer Lopez in der Hauptrolle lenkte für kurze Zeit den Blick der Öffentlichkeit auf den Brennpunkt Ciudad Juarez. Wie die jüngsten Entwicklungen zeigen, hat sich dieser jedoch wieder abgewandt. Und vieles spricht dafür das Ciudas Juarez auch die nächsten Jahre seinen traurigen ersten Platz behaupten wird.